27. Febr. 2014
Zu den höchsten Feiertagen überhaupt in Empfingen zählt der Rußige Dauschtig - der Tag, den man andererorts als den Schmotzigen oder Auseligen kennt. An diesem Tag (und nur an diesem) ist die Rußhexe, eine urige Gestalt der freien Empfinger Fleckenfasnet unterwegs. Das Häs dieser Hexe besteht aus alten, dunklen Röcken über der Schulter und an der Hüfte. Das Gesicht ist mit Gardinenstoff vermummt. Auf dem Kopf trägt sie die sog. Gatterhaube. Diese waren einstmals abgelegte Radhauben der Frauentracht. Später wurden diese Hauben von den Hexen selbst nachgemacht (Text-Fortsetzung unten).
Punkt 12.00 Uhr ziehen die Rußhexen (nur Männer) am Rußigen Donnerstag in vielen freien Gruppen durch den Ort. Dabei wird das Gesicht der Passanten mit Ofenruß von Holzöfen geschwärzt. Und um 18.00 Uhr sind die Rußhexen dann auch schon wieder verschwunden. Zunächst aber trafen sich alle teilnehmenden Männer ab 11 Uhr im Sängerheim, wo zur Stärkung Udo Blecher (im übrigen einzigen weißen Hexe seit 18 Jahren) die Hexensuppe servierte. Als Suppen-Investor hatte sich seit 1986 Dr. Wolfgang Mieckley in Empfingen erkenntlich gezeigt, nun übernahm seine Praxis-Nachfolgerin Frau Dr. Corinna Schiletz diese Rolle. Sodann übernahm der Brauchtums Experte Werner Baiker das Wort und sang die wichtigen Regeln im schwäbischen Hexen-Rhythmus:
- Der haischte Feiertag, deans geit - des isch da Ruaßig Dauschtig heut.
- A Ruaßhex sei, des isch da Hit - doch manches sott ond duat mer it.
- A Ruaßhex goht en Flecka nei - doch erscht, wenn's Zwelfe isch schau gsei.
- A Ruaßhex sott it schau am Drie - so bsoffa sei wia a Schtuck Vieh.
- A Ruaßhex sott Sechzehne sei - denn vorher isch se oafach z'klei.
- A Ruaßhex machet d'Mädle schee - em Gsiicht schwaaz wia a Negerle.
- A Ruaßhex machet d'Mädle it - vom Hals doob schwaaz, naa bis en Schritt.
- A Ruaßhex dia hot schwaaze Hend - weil koane Hedscha danna send.
- A echte Ruaßhex isch escht griecht - mit weißem Vorhang uffem Gsiicht.
- A Ruaßhex geht en schwaaza Schtiefel uff d'Gass - ond it en rauta Turnschuah, Marke Adidas.
- Ab Sechse isch dees Ruaßla rom - a reachte Hex zieht sich no om.
- An Dank vo jedra Hexagrupp - em Dr. Mieckley für viele Jahre Hexa-Supp.
- Wir sagen ungern ihm ade - au wenn's ehm gfällt am Bodasee.
- Frau Doktor Schiletz, herzlich willkomma - hat Praxis ond d'Hexasupp jetzt übernomma.
- Und diese finanzielle Spritze - die finden alle Hexen spitze.
- Wer für Rußhexen Platz hat, im Herzen tief drinnen - der ka hier in Empfingen fast alles gewinnen.
- Ond z'letscht no an Dank em Gsangverei - dass do heut d'Hexasupp derf sei.
- Feil Freid, wenn I's no saga deff - wenscht Euch da ganze eFeF- eFeF.
- Es isch jetzt Zeit ond I hör uff - susch derf da Werner nemme vo Hausa ruff.
Gegen 11.45 Uhr lichtete sich das Sängerheim und die einzelnen Kameradschaften (z.B. Tiroler, Lichtensteiner, Edelweiß, Zollerburger, Mexikaner oder Matrosen), so wie sie in Empfingen typisch sind, suchten ihre Umzieh-Räumlichkeiten auf. Unglaublich, wie schnell die Maskierung vor sich ging - jetzt fehlte nur noch der markante Ruß. Und hier galt: je nässer der Ruß, desto schwärzer. Aber niemals öliger Ruß, der sich sonst schwer entfernen ließe. Schlag 12 Uhr machten sich die Rußhexen in Klein- und Großgruppen auf den Weg - und jeder, der ihnen über den Weg lief, hatte im Nu ein schwarzes Gesicht. Doch erstaunlich - die Empfinger Bevölkerung, egal ob jung oder alt, fürchtete sich davor überhaupt nicht - im Gegenteil, sie genossen es, wesentlicher Bestandteil dieses Brauchtums zu sein.
Weil ich dieses einzigartige Spektakel fotografisch dokumentieren wollte, schloss ich mich nach dem Warmup in der Werkstatt von Wolfgang Bubser der Gruppe von Werner Baiker an. Im Gespräch berichtete mir dieser vom alljährlichen Fasnets-Unterricht, wo stets die dritte Schulklasse mit dieser Thematik konfrontiert wird. Hierbei werden Fasnetsbegriffe eingeordnet und die richtigen Verhaltensweisen behandelt. Sozusagen närrische Früherziehung - sagenhaft, davon könnten sich viele eine dicke Scheibe abschneiden! Vorbei am Rathaus und Narrenbaum mit polizeilicher Präsenz, marschierten die Schwarzläufer zum Florist Gerhardt, wo herrliche Fasnetsküchle und leckere Liköre angeboten wurden. Überall ganze Gruppen von Kindern, Teenagern und Erwachsenen - und so ziemlich alle mit schwarzen, strahlenden Gesichtern. Wichtige Ausnahme die "White Guys", eine Gruppe von weiß bekleideten Jugendlichen, die sozusagen als "Jagdwild" der Ruaßhexen dienen und denen das auch Spaß macht.
Nach dem Besuch der Mexikaner-Bar, die von den Jahrgängern um 1984 bewirtschaftet wird, folgte ein kurzer Stop bei Josef Gaus, der früher Kneller war und einen Kurzen bereit stellte. Zum Kaffee lud anschließend Familie Fink die Senioren-Rußhexen ein, bevor nach einem Gruppenfoto der inoffizielle Rathaus-Besuch auf dem Programm stand. Hier wurde kräftig gesungen und die "Migrationsgruppe St. Benedikt" bestach mit alten Liedern wie "Welche Farbe hat die Welt", dem Fuhrmannslied oder "Dia Goaß isch weg". Dazu schnurrten die hausansässigen Katzen und Schultes Schindler leitete die außerordentliche Sitzung der Rußhexen. Wahnsinnig wie schnell die Zeit verging - im Pflegeheim freute sich der 91-jährige Anton Maier, einer der letzten Nachtjäger, über den Ruaßhexen-Besuch. Zu den finalen Stationen zählten schließlich das Eis-Cafè, das Musikerheim sowie der Heizungsbau von Edmund Briegel mit dem Ramazotti-Jahrgang, wo nochmals mächtigst aufgetischt wurde. Dieses Brauchtum hat mich voll begeistert und ich danke allen Ruaßhexen & Empfingern Narren für diesen tollen Nachmittag. Unglaublich, dass bislang keine Kultur-Wissenschaftler auf diesen Kult aufmerksam geworden sind! Weiteres Empfinger Brauchtum findet sich übrigens im "Archiv" auf dieser Website.